20. März 2025
Es ist der älteste und prestigeträchtigste Modepreis der Welt: In der Jury des Festival d’Hyères, für das alljährlich das Who is Who der Fashionwelt an die malerische Côte d’Azur reist, sitzen in diesem Jahr unter anderem Marine Serre, Grace Wales Bonner und Ludovic de Saint Sernin. Uns beim Fashion Council Germany freut es deshalb umso mehr, dass in diesem Jahr zu den Nominierten gleich zwei ehemalige Teilnehmende von Fashion x Craft zählen. In Partnerschaft mit eBay Deutschland und The King’s Foundation unterstützen wir mit diesem Programm junge Mode- und Texildesigner:innen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Handwerkskunst und Innovation. Was Sofia Hermens Fernandez und Taskin Goec daraus mitgenommen haben, verraten sie uns im Interview.
Sofia Hermens Fernandez
Bitte fasse für uns in einem Satz zusammen, wofür du als Designerin stehst.
Ich stehe für mädchenhafte, verspielte Details und aufwendige Textilmanipulationen.
Girlhood ist das große Überthema deiner Kollektion, die du auf dem diesjährigen Festival d’Hyères zeigen wirst. Woher kommt die Faszination dafür? Gab es dafür ein Schlüsselerlebnis oder eine spezielle Erfahrung während deinem Aufwachsen?
Meine Faszination mit Mode drehte sich schon immer darum, wie diese ein einflussreiches Mittel ist, um verschiedene Visionen von Weiblichkeit zu konstruieren. Girlhood als Konzept ist eine dieser Visionen und ich bin fasziniert von den ganzen textilen Details, die in der westlichen Mädchenkultur enthalten sind. Ich selbst mochte rosa und verspielte Details wie Schleifchen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Gesellschaft mir sagt, ich darf mich diesen Dingen nicht hingeben, wenn ich ernst genommen werden will. Natürlich wollte ich ernst genommen werden, also lehnte ich sie schlagartig ab. Meine Vorliebe für mädchenhafte Sachen war aber nie wirklich weg, und nun widme ich mich ihnen als Designerin, auf meine ganz persönliche Art und mit Handarbeit.
In deinen Designs verklärst du Mädchenhaftigkeit einerseits und dekonstruierst sie andererseits. Welche Wirkung möchtest du mit dem Endergebnis erzielen?
Ich möchte zeigen, dass handgearbeitete Stücke, die mit viel Hingabe gemacht werden, einen hohen Wert haben. Girlhood ist für mich persönlich eine Lebenseinstellung, die Neugierde, Freiheit, Kreativität und Liebe zum Detail mit sich bringt und all das setze ich in meiner Arbeit um.

Beschreibe uns ein Key Piece in deiner Kollektion, in dem sich deine Vision am deutlichsten widerspiegelt.
Da würde ich zu dem pinken, komplett handgestrickten Kleid greifen, welches mich auch zur Finalistin bei Hyères gemacht hat. Es besteht aus Mohair-Seidengarn und ich habe es mit der Hilfe meiner Mutter umgesetzt. Mit dem drapierten Tüllkleid darunter ist es eine einzige pinke Wolke – unfassbar leicht zu tragen und wärmend durch das Garn.
Ein wichtiger Bestandteil deiner Vision ist Handarbeit, die in unserer kollektiven Wahrnehmung ebenfalls eng mit Girlhood verknüpft ist, da diese Techniken einst vor allem von jungen Mädchen erlernt wurden. Viele betrachten sie deshalb heute als kritisch. Wie schaust du auf die Tradition der weiblichen Handarbeit in all ihren Facetten?
Der Narrativ rund um weibliche Handarbeit ist historisch davon geprägt, dass sie als reiner „Zeitvertreib“ zu Hause angesehen wurde. Dabei liegt in Handarbeit unfassbar viel Wissen und technische Fähigkeiten, sowie die Macht Dinge selbst zu kreieren, was in unserer neo-kapitalistischen Welt ganz schön Wucht haben kann. Frauen sind in einflussreichen Positionen in der Modeindustrie leider nach wie vor die Minderheit, und ich denke, dass es einfach auch daran liegt, dass sie in der kollektiven Erinnerung mit Nadel und Faden in der Hand geboren werden, während ein Mann in der Modeindustrie eher als genial gilt.
Welche Rolle hat Fashion x Craft in deiner Entwicklung als Designerin gespielt?
Fashion x Craft ist ein wunderbares Programm, es hat mir über einen längeren Zeitraum immer wieder Gedankenfutter gegeben und mich gesehen fühlen lassen. Ich war noch nicht fertig mit meinem Studium, aber durch das Programm kam ich bereits mit vielen inspirierenden Menschen in Kontakt, die mich in meiner Arbeit bestärkt haben.

Was waren bei Fashion x Craft die Learnings, Kontakte oder Erfahrungen, aus denen du am meisten Nutzen ziehen konntest?
Viele Menschen, die ich durch das Programm kennengelernt habe, waren sehr warmherzig und hatten interessante Fähigkeiten und großes Wissen, wovon ich für mich selbst viel mitnehmen konnte. Mit den fünf anderen Teilnehmenden sind großartige Freundschaften und Zusammenarbeiten entstanden. Der Fashion Council Germany bot uns gute Möglichkeiten, unsere Arbeiten professionell zu präsentieren und er unterstützt uns weiterhin.
Im Zuge des Programms hast du drei Wochen in einer Bildungsstätte der The Prince’s Foundation im englischen Highgrove verbracht, bei der es sich um einen Teil des Anwesens von Prinz Charles handelte. Was ist deine liebste Erinnerung an bzw. Anekdote aus dieser Zeit?
Die drei Wochen dort waren unfassbar schön, wir hatten wunderbare Mentor:innen und das gesamte Umfeld war sehr inspirierend. Ich habe in der Zeit viel Input gesammelt und mich unfassbar eng mit den Mentor:innen und anderen Teilnehmenden ausgetauscht - und gelacht. Es gibt viel zu viele Erinnerungen und Anekdoten aus der Zeit, aber besonders lieb war mir mein Geburtstag dort und wie selbst die Polizist:innen, die Highgrove bewacht haben, mir herzlich gratulierten.
Es geht bekanntlich nicht immer nur um das Gewinnen – was ist deine persönliche Motivation für die Teilnahme am Festival d’Hyères?
Finalistin zu sein ist bereits ein großer Zuspruch für meine Arbeit. Ich hoffe, neue wertvolle Kontakte und Verbindungen zu knüpfen, die mich als junge Designerin weiterbringen.
Taskin Goec
Worum genau geht es bei Studio Taskin?
Studio Taskin schlägt eine Brücke zwischen konventioneller und digitaler Mode und verbindet das Sinnliche mit dem Virtuellen.
Du selbst bezeichnest dich als „Mixed-Reality-Modedesigner“ – was verstehst du darunter und was sind die Besonderheiten in deinem Schaffensprozess, die auf viele Menschen noch neu und nicht greifbar wirken?
Es gibt noch keine etablierte Bezeichnung für das, was ich mache. Ich verwende „Mixed-Reality-Modedesigner“, weil meine Arbeit sowohl physisch als auch digital stattfindet. In meinem Studio kombiniere ich frei Tools und Techniken und entwickle kontinuierlich neue Workflows, vom einfachen Stickrahmen bis zum High-End-Computer. Ich sehe technologische Innovationen als eine der größten Chancen unserer Zeit. Deshalb frage ich mich täglich aufs Neue: Welche neuen Tools gibt es, und wie können sie den Entwurf und die Produktion von Mode bereichern?
Was sagst du Menschen, die fürchten, digitale Technologien und KI würden traditionellem Handwerk entgegenstehen und es möglicherweise verdrängen?
Ich möchte zeigen, dass beides Hand in Hand geht und dass es auch digitales Handwerk gibt. Hinter KI-Modellen stehen Menschen, die sie trainieren, fine-tunen und mit ihnen Inhalte generieren. Wir müssen lernen, KI-Anwendungen gezielt und kontrolliert zu nutzen. Dass traditionelles Handwerk verdrängt wird, ist zudem eine Entwicklung, die unter anderem mit den globalen Märkten zusammenhängt – und kein neues Phänomen, das allein der KI geschuldet ist. Seit diesem Jahr bieten Rafael Herzberger und ich Workshops, Seminare und Lehrveranstaltungen an, in denen wir KI-Workflows für Design vermitteln. Unser Ziel ist es, einen Überblick über die komplexe Landschaft zu geben und individuelle Prozesse zu entwickeln.

Wie würdest du das Zusammenspiel von dir als Person mit den Tools, die du nutzt, beschreiben? Sind sie eine Verlängerung deiner selbst? Oder eher ein ausgelagerter Pool an Wissen und Fähigkeiten?
Ich behandle meine Tools wie ein Team von Assistenten.
Woraus konntest du bei Fashion x Craft am meisten Nutzen für dich ziehen?
Handwerk bedeutet Offenheit gegenüber dem Material: zu lernen, es sprechen zu lassen und sein Potenzial zu erkennen. Diese Haltung lässt sich auf vieles im (Arbeits-)Alltag übertragen.
Was ist deine liebste Erinnerung aus der Zeit, die du bei Fashion x Craft verbracht hast?
Das Seilflechten und das Lernen über traditionelle irische Rituale. Die Kreativität, die es braucht, aus Rohstoffen wie Roggenstroh flexible, robuste Strukturen zu schaffen und die Wertschätzung dafür, die sich in Fest, Spiel und Ritual ausdrückt. Und natürlich: das Seilspringen damit!

Du bist nominiert in der Kategorie Accessoires beim diesjährigen Festival d’Hyères – kannst du uns ein Design von dir, das es dort zu sehen geben wird, näher beschreiben?
Das Herzstück der Kollektion ist eine modulare Sonnenbrille. Ihr Design wurde mit einer generativen KI entwickelt, die ich mit all meinen bisherigen Entwürfen und Renderings trainiert habe, eine Art digitale Kopie meiner kreativen DNA.
Was hast du dir persönlich als Ziel für das Festival d’Hyères gesteckt?
Das Festival d’Hyères ist ikonisch. Als Finalist repräsentiere ich einen neuen Ansatz: den eines Mixed-Reality-Designers. Es geht mir nicht nur um meine Entwürfe, sondern darum, Design aus einer innovativen Perspektive zu denken und zu vermitteln.
